NACHRUF AUF DIE HANDSCHRIFT
Wolf Schneider
Mit der Handschrift geht's bergab - mit der Rechtschreibung sowieso. Dass alles in den Computer Eingetippte ziemlich bald zerfällt für immer, ist da ein schwacher Trost. Warum überhaupt wird an etwas so Altmodischem wie der Schreibeschrift noch und schon wieder mal herumgedoktert wie zurzeit in Hamburg und Baden-Württemberg?
Handschrift: Welch umstürzende Erfindung war das einst! Die ersten Schriftzeichen mussten ja in Ton gedrückt, in Holz geschnitzt, in Stein gemeißelt werden - bis die Ägypter aus der Papyrus-Staude jene Blätter formten, auf die man malen konnte. Im 6. Jahrhundert v. Chr. kam diese Kunst nach GriechenIand, und nun wurde 2000 Jahre lang eifrig und begeistert mit der Hand geschrieben, auf Papyrus, dann auf Pergament, dann auf Papier: die Bibel, Chroniken, Legenden, Gesetze; Briefe auch. Das Handgeschriebene hat die Erfindung des Buchdrucks überlebt, auch die der Schreibmaschine, und den Garaus gemacht hat ihm bisher selbst der Computer nicht.
Bei uns regierte jahrhundertelang die deutsche Schreibschrift mit ihren schmalen, steilen Buchstaben. Dann, ab 1915, übernahmen die Schulen eine rundliche, bauchige Variante darauf, entwickelt von dem Berliner Grafiker Ludwig Sütterlin. Sie wurde in die bis dahin zusätzlich erlernte sogenannte lateinische Schrift übernommen, die Hitler 1941 zur deutschen Normalschrift ernannte. (Beiden Schriften ist der Klang des Namens »Sütterlin« bis heute nicht bekömmlich.)
Nun wird an den Schulen Hamburgs und Baden-Württembergs also mit einer »Grundschrift« experimentiert, die sich stärker als bisher an die Druckbuchstaben anlehnt - »ein Irrweg«, sagt der Deutsche Lehrerverband. In der Tat: Mit der Bastelei könnte es endlich ein Ende haben! Das Schreiben stellt uns vor zwei viel größere Probleme.
Das eine: der rapide Verfall der Rechtschreibung. Mit Kindern, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, hat die Schule ohnehin ihre Not; mit den anderen auch, weil ja heute nichts mehr erzwungen werden darf. Nur behutsam angeleitet wurde jener Achtjährige, der, wie aus Bremen überliefert, schreibt,
»walls mir schbas macht«.
Das Falschschreiben wird uns treu bleiben - die Handschrift liegt im Sterben. Wer hat noch Block und Bleistift bei sich, um einen Termin, einen Auftrag, einen Einfall festzuhalten? Wer führt gar noch »Tagebuch«, wer hätte sich 2011 noch einen handgeschriebenen Brief geleistet?
Was iPhone- und Computer-Nutzer dabei gern vergessen: Vielleicht schon in drei, spätestens in dreißig fahren werden sie nicht mehr lesen können, was sie geschrieben haben. Festplatten, CD-ROMs, DVDs verfallen, man darf die Datensicherung nicht versäumen, und dazu braucht man Zeit, Geld und einen guten Terminkalender (am besten auf Papier). Zwanzig Jahre alte CDs produzieren schon Katzenmusik, einem USB-Stick billigt niemand mehr als zehn Jahre zu. Und nicht genug damit: Gnadenlos drücken die Hersteller neue Geräte, Betriebssysteme, Dateiformate in den Markt, die die Lebensdauer der Datenträger noch unterbieten. Wer kann heute noch eine Diskette abspielen, die vor fünfzehn Jahren den Höhepunkt der Speichertechnik markierte?
Und ob es nicht hin und wieder doch einen Senior gibt, der ganz gerne lesen würde, was er oder jemand an ihn vor vierzig Jahren geschrieben hat? Papier bleibt zuverlässig an die zweihundert Jahre lang. Ausdrucken also! Und die Handschrift behält ein paar Meriten: Sie bietet ein Bild an, sie erzählt von ihrer Zeit, ein bisschen auch von dem Menschen, der da einst den Kugelschreiber führte.
Aus PREGO: 02/2011
Dem Magazin von EDEL
WOLF SCHNEIDER
ist Honorarprofessor der Linguistik an der Universität Salzburg, Träger des Medienpreises für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache, Ausbilder an vier Journalistenschulen und Lehrer für lesbares Deutsch in Wirtschaft, Medien und Behörden. Er ist zudem Autor zahlreicher Sachbücher, u.a. >>Deutsch für junge Profis: Wie man gut und lebendig schreibt« (2010).
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