unsere Bilderbuch-Lieblinge in 2024:
Grégoire Solotareff: Ein Bär wie kein anderer
Pablo, genannt Pascha, lebt zusammen mit sechs anderen Bären im Kinderzimmer von Tom. Tom ist nach Paris gezogen, er ist schon groß und den Bären ist es ohne ihn so langweilig, dass sie oft streiten – denn Stofftiere reden heimlich miteinander. Pascha ist anders als die anderen, sein Kopf ist lila, der eine Arm blau, der andere orange, er hat ein grünes Bein und ein gelbes und sein Bauch ist rot. Es ist oft nicht so schön, anders zu sein. Aber wenn er genau so wäre wie alle, dann hätte er diese Geschichte – vom Weglaufen, Angst haben, Gefunden und Umsorgt werden – nicht erlebt …
Ja, Geschichten ähnlichen Inhalts gibt es nicht wenige. Und trotzdem ist „Ein Bär wie kein anderer“ ein rundum gelungenes und empfehlenswertes Bilderbuch! Das liegt an der Sprache, die schön bildhaft und ein wenig umständlich ist. Und an Pascha, der mutig und ängstlich und verwegen ist und ein großes Herz hat. Außerdem sind die Illustrationen ganz und gar herrlich! Je nach Gefühlslage bunt oder eher zurückhaltend, immer mit passendem Pascha-Gesichtsausdruck und so, dass man sie sich als Bild an die Wand hängen möchte. Der Text ist länger, Kinder brauchen schon ein wenig Durchhaltevermögen.
(Die Übersetzung stammt von Alexander Potyka – und ich glaube fast, ein Teil des Charmes ist auch ihm zu verdanken.)
Picus Verlag, Übersetzung: Alexander Potyka, 978-3-7117-4039-7, € 18,00
Maya Tatsukawa: Maulwurf ist nicht allein
Maulwurf bekommt Post: Hase lädt ihn zu seiner „Hase-Ernte-Party“ ein. Und schreibt sogar dazu, dass er sich besonders freuen würde, wenn Maulwurf auch käme, schon im letzten Jahr hatte er ihn eingeladen. Maulwurf überlegt lange und entscheidet sich dann, wirklich hinzugehen. Mit Windbeuteln als Geschenk, Hase liebt Windbeutel. Beim Loslaufen spricht er sich gut zu: „Na dann. Los geht’s! Ich bin bereit … glaube ich. Diesmal gebe ich mir noch mehr Mühe. Dann sagt niemand mehr, dass ich zu schüchtern bin.“ Unterwegs verlässt ihn jedoch der Mut. Bei Hases Haus angekommen weiß er nicht weiter – allerdings scheint es Skunk genau so zu gehen. Vielleicht hat Hase ja Verständnis, wenn sie doch nicht kommen?
Ich bin froh, dass es immer wieder Bilderbücher gibt, die Problemstellungen thematisieren und dabei das Geschichtenerzählen an erste Stelle rücken: Genau so eines ist „Maulwurf ist nicht allein“. Auch wenn uns erwachsenen Leser*innen von Anfang an klar ist, worauf das hinausläuft, ist das so ruhig erzählt, dass die kleinen Zuhörer*innen das erst einmal nur ahnen können. Tatsächlich wird das Schüchtern sein ganz wundervoll erklärt und dabei entsteht kein wie auch immer geartetes komisches Gefühl. Maya Tasukawa hat ihre Geschichte mit großflächigen Bildern in zarten Farben illustriert und dabei überall kleine Details versteckt – dieses Bilderbuch macht also auch beim Ansehen große Freude!
Gerstenberg Verlag, Übersetzung: Leena Flegler, 978-3-8369-6270-4, € 15,00
Inge Bosse: Wo tut es weh?
„Das ist der Uhu. Er ist so fit. Wer in Not ist, für den ist der Uhu da. ‚Yak, wo tut es weh?‘ ‚Der Po tut mir weh!‘ ‚Was war los?‘ ‚Das Klo war zu eng.‘ ‚Ein Zug und im Nu ist es gut.‘“ Auf den Bildern ist zu sehen, dass der Yak in der Toilettenbrille festhängt und der Uhu diese herunterzieht. Danach verarztet Uhu die Kuh, das Gnu, den Bären und den Hai, die Sau und den Emu, den Aal und das Reh – und ganz zum Schluss auch sich selbst. Denn anderen zu helfen kann ganz schön anstrengend sein!
Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie anhand der zitierten Stelle das Besondere an diesem Buch: Kein Wort hat mehr als drei Buchstaben. Autorin Inge Bosse hält das wirklich das ganze Bilderbuch über durch! Denn entstanden ist „Wo tut es weh?“, weil sie auf der Suche nach Erstlese-Büchern war, die ein Kind trotz Leseschwäche alleine lesen kann – und nicht fündig wurde. Für manche Kinder ist nun mal die Wortlänge zumindest am Anfang des Lesenlernens ausschlaggebend. Diese Lücke hat Bosse dann „einfach“ selbst gefüllt … Bisher gibt es drei plakativ illustrierte Bilderbücher mit drei-Buchstaben-Wörtern, daneben außerdem einen Schuber mit vier in gleicher Weise illustrierten Bilderbüchern mit vier-Buchstaben-Wörtern. Und zwei-Buchstaben-Bilderbücher entstehen gerade. Die Texte sind schlüssig, verbundene Buchstaben, z. B. ei – ch – ng, andersfarbig markiert und eine zarte Linie zeigt die Folge der wörtlichen Rede an.
Kurz und gut: Diese wichtigen und witzigen Bilderbücher füllen eine Lücke im Vorschul- und Erstlesesegment. Und dafür bin ich wirklich dankbar.
Lauter Verlag, 978-3-911098-13-7, € 16,90
Donna Lambo-Weidner / Carla Halsbauer: Es gibt keine Drachen in diesem Buch
Sind das Zehennägel? Aber nein! Das sind die Pfoten unserer übertrieben großen Katze! Und der Kamin sprüht Funken – das ist doch kein Drachengefauche! Das Chaos im Kinderzimmer: Dafür brauchts echt keinen wild wedelnden Drachenschwanz! Und der Qualm in der Küche hat auch nichts mit Feuerspucken zu tun, da steht einfach was zu lange auf dem Herd … Doch, halt. Was ist das denn da die Treppe hoch auf dem Dachboden? Und hier in der Spalte?
Ich bin eigentlich großer Fan von Bilderbüchern, bei denen im Bild nichts anderes zu sehen ist, als der Text nennt, einfach, weil Bilder lesen eine Vorstufe vom Buchstaben lesen ist und das nur gut geht, wenn man auch hört, was man sieht. Aber in diesem Buch ist das ein wenig anders, denn es Buch lädt zum Dialog ein – Bilder und Text gehen so gekonnt auseinander, dass man kaum umhinkommt, sich darüber zu unterhalten. Das gelingt der Autorin Donna Lambo-Weidner, weil sie ihre kleinen Zuhörer*innen direkt anspricht und befragt; sie beziehen daraufhin wie selbstverständlich Stellung. Außerdem lädt das Buch zum Drehen und Wenden und Schütteln ein. Dem passiven Zuhören und Ansehen folgen also sowohl Gespräch als auch Motorik: Der Lesespaß ist garantiert. Die Illustratorin Carla Haslbauer hat dazu wunderbar vielfältige Bilder geschaffen, auf denen es viel zu entdecken gibt. „Es gibt keine Drachen in diesem Buch“ hat das Potential zum Lieblings-Bilderbuch!
Nord-Süd-Verlag, 978-3-314-10655-2, € 17,00
Kai Lüftner / Wiebke Rauers: Lizzy Langbein
„Hier, in diesen Breitengraden, / sind Regen oder Nebelschwaden, / ganz egal, in welcher Form, / die Norm.“
Gereimte Bilderbücher sind per se schon mal toll. Wenn sie dann allerdings noch schön und besonders gereimt sind, dann begeistern sie noch mehr. So wie dieses Buch, bei dem Kai Lüftner den Text geschrieben hat – das sind durchweg richtig gut vorzulesende Verse, die großen Spaß machen. Wiebke Rauers bunte, aussagekräftige Illustrationen passen sehr, sehr schön dazu.
Es geht übrigens um eine musizierende Spinnenfamilie. Vater Langbein streicht die Geige, Mutter zupft den Kontrabass, der Sohn spielt gelangweilt Dudelsack. Lizzy spielt Keyboard – und kann sich nicht vorstellen, dass dieses stumpfe, ständig gleiche Geklimpere alles sein soll. Sie möchte gerne froh sein beim Musizieren und das setzt voraus, dass ihr die Musik gefällt. Das wird nicht gerne gesehen bei Langbeins; aber über dem Versuch, es den Eltern recht zu machen, wird Lizzy ganz unglücklich. Und so entschließt sie sich, ein Festival zu veranstalten und die unterschiedlichsten Tonkünstler einzuladen. Vielleicht braucht es ja nur ein bisschen Überzeugung! Und gute Musik …
NordSüd Verlag, 978-3-314-10691-0, € 17,00
Rebecca Gugger / Simon Röthlisberger: Der Wortschatz
„An einem milden Herbstmorgen war Oscar beim täglichen Löcherbuddeln. Da entdeckte er eine prächtige Holztruhe. Fabelhaft! Was könnte wohl in der alten Truhe verborgen sein? Im Nu hatte Oscar die Truhe geöffnet. Ganz anders als erwartet lagen da bloß Wörter herum.“
Er nimmt eines heraus, quetscht es, dehnt es und weil irgendwie so überhaupt nichts dabei passiert, wirft er es einfach weg. Der Wortknäuel fällt mitten hinein in einen Strauch – und gleich darauf galoppiert ein quietschgelber Igel – er wirkt ziemlich unzufrieden – an Oscar vorbei. Quietschgelb? Das war doch das Wort, das er aus der Truhe genommen hatte! Und tatsächlich, weitere Worte bestätigen es: Jedes Adjektiv aus der Truhe verändert Oscars Welt. Tolle Sache! Doch dann ist die Truhe leer …
Dieses wirklich witzige (und sprachfördernde!) Bilderbuch von Rebecca Gugger hat nicht allzu viel Text. Muss es auch nicht, denn die Bilder von Simon Röthlisberger ergänzen die Worte ausdrucksstark und herrlich fantasievoll. „Der Wortschatz“ – so eine schöne Doppelbedeutung! – ist ein ganz wunderbares Buch für kleine und große Menschen.
Nord-Süd-Verlag, 978-3-314-10670-5, € 17,00
Philip Bunting: Wilde Babys
„Nicht nur Menschen bringen bezaubernde Babys zur Welt – auch da draußen in der Wildnis gibt es jede Menge niedlichen Nachwuchs! Und die ersten Wochen im Leben dieser kecken Knirpse verlaufen oft ganz schön spektakulär.“
So beginnt dieses entzückende Sachbilderbuch, dass für Kinder ab 3 Jahren bestens geeignet ist - und an dem auch größere Kinder noch ihren Spaß haben. Das liegt an den Texten, die jeweils eine Haupteigenschaft der Tierbabys hervorheben (die kleine blaue Stupsnase beim Nasenaffenkind oder die Riesenhaftigkeit des Kiwi-Eis zum Beispiel). Diese Kurzinfos sind griffig und sehr nachvollziehbar, Philip Bunting hat einfach sehr passende Erklärungen und Vergleiche gefunden. Es liegt aber auch an der Auswahl an Tieren, deren Lebensräume sich zu Land, zu Wasser und in der Luft befinden. Und quer durch alle Kontinente sowieso. Da gibt es Insekten, Reptilien, Vögel, Fische, Amphibien und (natürlich) auch Säugetiere – alle haben spannende Besonderheiten. Unterstützt wird die Vielfalt noch durch die großflächigen und farbenfrohen Illustrationen, die jedem Tier auf andere Art gerecht werden.
„Wilde Babys“ empfehlen wir kleinen und großen Menschen, die neugierig auf die Welt sind. Und das sind wir doch eigentlich alle, oder?
Carlsen Verlag, Übersetzung: Fabienne Pfeiffer, 978-3-551-52303-7, € 14,00
Kay Kender: „Der Schnilf“
„Er aß eine ganze Sonnwendcremetorte auf, aber sie schmeckte ihm nicht. Er setzte sich ans Klavier und spielte sein Lieblingslied, doch es machte ihn nicht mehr glücklich.“
Der Schnilf ist ein freundliches Wesen – er winkt und grüßt, lobt und lacht die Leute an. Manche umarmt er auch oder strahlt übers ganze Gesicht. Und er merkt, dass davon die Liebe, die er in sich trägt, immer größer wird. Aber irgendwann passiert es, dass er sie nicht mehr spürt, sie scheint verschwunden. Und nichts hilft, keine Sonnwendtorte und kein Lieblingslied … Er hat keinen Hunger mehr und keinen Antrieb, verbringt die Tage im Bett. Bis seine Freundin Cato, die Waldwissenschaftlerin, eine Idee hat, wie man ihm helfen kann. Und die funktioniert tatsächlich!
„Der Schnilf“ ist kein typisches Bilderbuch – die Autorin und Illustratorin Kay Kender gibt der Geschichte ungefähr den dreifachen Raum. Das ist auch passend, denn nichts von ihrer Erzählung passiert von jetzt auf sofort: Die Liebe wächst langsam, sie verschwindet und der Schnilf verändert sich nach und nach. Und auch die positiven Veränderungen brauchen ihre Zeit. Kender nutzt die Farbe der Kopfbedeckung als Gefühlsbarometer; aber auch die anderen farblichen Details sind passend und durchdacht. Auch wenn man als Erwachsene*r merkt, dass der Autorin die Botschaft wirklich wichtig ist – die Geschichte trägt.
Verlag Voland & Quist, 978-3-86391-381-6, € 18,00