Unsere Jugenbuch-Empfehlungen in 2011:
Der zweite Fall für Theo Boone.
Theo Boone kennt sich aus mit der Juristerei, und das liegt nicht nur daran, dass seine Mutter als Familien- und Strafrechtsanwältin arbeitet, sondern auch an seinem enormen Interesse an Recht und Gerechtigkeit. Darum ist ihm klar, dass er die Fragen zum Befinden seiner besten Freundin, die der unsympathische Polizeibeamte ihm nach deren Verschwinden stellt, eher vage beantworten sollte. Zu erzählen, dass April schon mehrere Nächte ganz alleine zu Hause war und sich dabei fast zu Tode ängstigte, ist ein Vertrauensbruch, eine glatte Lüge verkünden geht aber auch nicht. Einfach abgehauen ist April sicher nicht, doch ob sie wirklich vom gerade in der Stadt gesichteten Ausbrecher Jack Leeper entführt wurde?
John Grishams Reihe um den Anwaltssohn Theo Boone ist ausgesprochen spannend, ohne brutal oder gruselig zu sein – tolles Lesefutter für Mädchen und Jungs ab 12 Jahren.
John Grisham: „Theo Boone und das verschwundene Mädchen.", Heyne Verlag, € 14,99
Kein Erstling, und doch ein erster Roman…
Bisher hat Isabell Pfeiffer historische Romane veröffentlicht, „Im Jahr des Skorpions" ist ihr erstes Jugendbuch. Und es ist ein sehr, sehr spannender und rundum gelungener Abenteuerroman mit viel Hintergrund!
Ein Mädchen. Und noch dazu mit sechs Zehen pro Fuß: Eleni kann nur ein Unglückskind sein. Vielleicht ist sie gar schuld an der großen Dürre? Jedenfalls ist, als ihre Mutter stirbt niemand da, der sie unterstützt, außer ihrer galligen, hartherzigen Tante. Als diese sie mit dem geizigen Schuster verheiraten möchte, flieht Eleni mit dem fahrenden Musikanten Bertot, es wird der schönste Sommer ihres Lebens. Doch mit dem Erreichen der Hauptstadt wird alles anders, denn dort regiert der Skorpion, ein grausamer Fürst. Zu Elenis Entsetzen gehört Bertot zu den Aufständischen – und sie selbst soll dazu ausersehen sein, den Skorpion zu töten.
Isabell Pfeiffer: „Im Jahr des Skorpions.", Dressler Verlag, € 15,95
Aus mehreren Perspektiven.
Cass McBride ist die Königin ihrer High-School: hübsch, intelligent und bei allen beliebt bekommt sie stets, was sie möchte. Und mit dem unscheinbaren David möchte sie ganz sicher nicht ausgehen, auch wenn sie ihm versprochen hat, ihn bei Gelegenheit mal anzurufen. Die Worte, die sie in der Notiz an ihre Freundin Erica wählt ziemlich gehässig – blöd nur, dass David sie liest. Am nächsten Tag ist er tot.
Gail Giles erzählt in diesem Jugendroman eine unglaublich spannende Geschichte eines Selbstmordes, eines versuchten Mordes und der Frage nach der Schuld. Sie erzählt sie in kurzen Kapiteln aus verschiedenen Blickwinkeln: da ist Kyle, der auf der Polizeistation seine Aussage zum Selbstmord seines Bruders David und zur Entführung von Cass macht. Ben hingegen ist ein erfahrener, umsichtiger Ermittler, dem langsam die Zeit davon läuft. Und da ist Cass selbst, die gezwungen ist, ihr Handeln zu überdenken und mit ihrem Entführer ins Gespräch zu kommen – vielleicht kann sie so ihr Leben retten…
Gail Giles: „Der erste Tod der Cass McBride." Thienemann Verlag, € 13,90
Ein ganzes Jahr Wissen,
ein ganzes Jahr Vergnügen. Das ist es genau, was Nicole Ostrowsky mit diesem Buch erreichen möchte: Jugendlichen und Erwachsenen mit Experimenten und einer Mischung aus Information und Illustration, Anregung und konkreter Aufforderung den Spaß an den und die Lust auf die Naturwissenschaften (zurück?) zu geben. Dabei verwendet sie Dinge, die es in jedem Haushalt gibt (von einem Versuch mit Lebensmittelfarbe abgesehen…), sie findet oft witzige Aufgabenstellungen, kombiniert mit Sprüchen großer Wissenschaftler – ein Gesamtpaket, dass überzeugt!
Das findet auch Georges Charpak, Nobelpreisträger 1992: „Als ich durch das Tagebuch blätterte, war ich überrascht zu sehen, wie abwechslungsreich dieser Spaziergang durch die Wissenschaft ist.“
Nicole Ostrowsky: „Notizen eines Genies - mit 365 verblüffenden Experimenten durch die Naturwissenschaften.“, Arena Verlag, € 14,99
Nicht nur für ältere Jugendliche…
…sondern auch für Erwachsene wirklich lesenswert ist „Nicht weit vom Stamm“. Oliver Uschmann gelingt es, immer wieder Wendungen zu beschreiben, die nicht vorhersehbar sind und uns Leser nachdenken lassen über Familienstrukturen und ihre Auswirklungen quer durch die Generationen.
Sven Lechner gewinnt mit nur 14 Jahren den Wettbewerb „Stadtprojekt der Zukunft“, er ist ein Musterknabe und der perfekte Sohn eines renommierten „Erziehungsgurus“. Keine Woche später beginnt Svens Absturz: Schwester Lina erleidet einen Unfall, den er hätte verhindern können und sein Vater spricht den vernichtenden Satz „Für was bist Du eigentlich gut?“. Von da an kifft und säuft er, prügelt sich und hat definitiv die falschen Freunde. Weder Sozialstunden noch Gefängnis führen langfristig zu einer Resozialisierung – doch als Linas Leben bedroht ist, ändert sich sein Leben noch einmal grundlegend.
Oliver Uschmann: „Nicht weit vom Stamm.“, Verlag Script 5, € 14,95
Vera hasst Charlie. Vera liebt Charlie.
Sie waren Nachbarskinder und unzertrennlich: Vera Dietz und Charlie Kahn. Vera kannte seine Geheimnisse von klein auf und Charlie ihre, da ist ein tiefes Vertrauen zwischen ihnen. Vielmehr, da war ein tiefes Vertrauen. Denn irgendwann hat Charlie sich verändert, mit den falschen Leuten rumgegammelt. Und bald darauf hat er Vera ganz schnöde verraten – und noch einige Tage später war er tot. Kann man Tote hassen? Wie lebt man weiter?
A.S. King lässt alle zu Wort kommen: Vera und Charlie, Veras Vater und sogar die Stadt in der alle leben, manchmal in der Gegenwart, manchmal in der Vergangenheit. Das macht den Einstieg ein wenig mühsam – doch schon nach kurzer Zeit bekommt der Roman durch diese Vielstimmigkeit einen ganz erstaunlichen Sog, und man mag diese Liebesgeschichte, die auch die Geschichte einer Selbstfindung ist, nicht mehr aus der Hand legen.
A.S. King: „Please don´t hate me.“, Arena Verlag, € 16,99, ab 15 Jahren
Unglaublich beeindruckend.
„Polnischer Kurzwarenhändler“, so wird der Außenseiter Abel Tannatek von allen genannt. Anna, die genau weiß wie ihr Leben verlaufen soll, und sich trotzdem einen naiven Blick auf die Welt bewahrt hat, kennt aber nicht nur den Kurzwarenhändler und Drogendealer – sie kennt auch den liebevollen Bruder, zu dem Abel wird, wenn er sich um die kleine Micha kümmert. Und sie verliebt sich in den Märchenerzähler, zu dem Abel wird, um Micha das Leben zu erklären. Irgendwann beginnt sein Märchen stark realistische Züge anzunehmen, und kurze Zeit später sterben drei Menschen. Ist Abel ein Mörder?
Dass Antonia Michaelis Bücher schreiben kann, wissen wir schon länger, es gibt eine ganze Reihe von Kinder- und Jugendbüchern, die ihrer Feder entstammen – „Die Nacht der gefangenen Träume“ hat auch schon den Weg in unseren Büchertipp gefunden. Mit dem „Märchenerzähler“ ist ihr eine sprachlich wunderschöne und außergewöhnliche Mischung aus Liebesgeschichte, Märchen und Thriller gelungen, die Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen in ihren Bann zieht.
Antonia Michaelis: „Der Märchenerzähler.“, Oetinger Verlag, € 16,95
Ein logisches Fundament für die Mathematik.
Der Mathematiker, Logiker und Philosoph Bertrand Russell ist der Held dieser Graphic Novel – anhand seiner Lebensgeschichte zeigt das Autorenteam rund um Apostolos Doxiadis die „epische Suche nach der Wahrheit“, also die Erforschung der Grundlagen unseres Denkens. Russell ist in zwei Hinsichten eine kluge Wahl: zum einen hat er selbst in den Jahren 1902 bis 1913 in seiner dreibändigen „Principia Mathematica“ die Axiome und Schlussregeln niedergeschrieben, die die Grundlagen der Mathematik bilden. Zum anderen hat Russell sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit vielen begabten und fortschrittlichen Logikern, Mathematikern und Philosophen ausgetauscht, sodass auch deren Arbeiten in diesen Comic einfließen konnten.
Es ist ein ungewöhnliches Projekt, dem gelingt, was viele Bücher versuchen und nicht immer leisten: einfach und klar zu erklären, was die mathematischen Grundbegriffe bedeuten und wie logisches Denken funktioniert. Für kluge Köpfe ab 14 Jahren und alle die es werden wollen.
Doxiadis / Papadimitriou / Papadatos / Di Donna: „Logicomix“, Atrium Verlag, € 24,90
Unsere Jugenbuch-Empfehlungen in 2010:
Weihnachten.
Einjähriges Jubiläum und Weihnachten zusammen – Jubilee freut sich auf diesen ganz besonderen Nachmittag, den sie mit Freund Noah verbringen will. Doch dann kommt alles ganz anders: bei einer Schlägerei werden ihre Eltern festgenommen und ehe sie es sich versieht, sitzt sie im Zug Richtung Florida um die nächsten Tage bei ihren Großeltern zu verbringen. Doch schon nach wenigen Meilen stoppt der heftigste Schneesturm seit fünfzig Jahren die Weiterfahrt. Auf der Flucht vor der mitfahrenden Cheerleadergruppe findet sich Jubilee bald in Gesellschaft des interessanten aber nervigen Stuart…
Maureen Johnson lässt ihre Jubilee in Ich-Form erzählen, leicht schnoddrig und sehr unterhaltsam. Johnsons Erzählung ist nur die erste von dreien, die an diesem Schneesturm-Weihnachten in Gracetown spielen und im vorliegenden Buch zu finden sind. Die folgenden beiden Geschichten haben zwar andere Autoren und darum einen anderen Tonfall, aber das gleiche „Personal“ - und das zusammen ergibt ein ausgesprochen gelungenes und kurzweiliges Buch-Experiment für Leserinnen ab 12 Jahren.
John Green / Maureen Johnson / Lauren Myracle: „Tage wie diese.“, Arena Verlag, € 15,95
Viel mehr als Mode.
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Nonie, die schon mal mit einer Art Badeanzug über Leggings ausgeht, ihre Kleidung bunt mixt und alle großen Designer kennt. Jenny, die ihre weiblichen Rundungen nicht wirklich mag und mit ihrer neuen Rolle als Filmstar nur schwer klarkommt. Und Edie, die stets gut genug fürs angestrebte Jurastudium in Harvard gekleidet ist, aber nichts wichtiger findet als Ökologie. Und doch sind die drei beste Freundinnen, mit allem Klatsch und Tratsch aber auch der vorbehaltlosen Bereitschaft sich gegenseitig beizustehen. Als die drei Krähe kennenlernen, 12 Jahre alt, afrikanischer Herkunft und in Modedingen unglaublich kreativ, nehmen sie sie gemeinsam unter ihre Fittiche, jede mit ihrer ganz speziellen Begabung…
Leichte Unterhaltung für Mädchen ab 12 Jahren dachte ich, als ich das Buch in die Hand bekam, und das ist es tatsächlich. Aber es ist auch hintergründig und facettenreich: es ist ein großartiges, lesenswertes Buch über Freundschaft, Familie und – erstaunlicherweise - Politik.
Sophia Bennett: „Wie Zuckerwatte mit Silberfäden. Die erste Kollektion.“, Verlag Chickenhouse, € 12,95
Eine neue Zeit.
Miranda hat sehr persönliche Sorgen: da ist ihr Schwarm Brandon Erlich, den sie langsam aber sicher völlig aus den Augen verliert, ihre beiden Freundinnen, die sich seit neuestem nur noch streiten und auch die Schwangerschaft der neuen Frau ihres Vaters ist nicht unproblematisch. So ist sie über die plötzlich aufkommenden kollektiven Zukunftsängste (und die damit verbundenen Hamsterkäufe) wegen des bevorstehenden Asteroideneinschlags im Mond ziemlich erstaunt. Als dann der Asteroid einschlägt, der Mond aus seiner Umlaufbahn katapultiert wird und dadurch eine Flutkatastrophe ungeahnten Ausmaßes entsteht, muss Miranda erkennen, dass die wichtigen Dinge manchmal eben doch ein Dose Bohnen oder Aspirin sind - und vor allem eine liebevolle Familie, die fest zusammenhält...
Gerade scheint eine neue Welle anzulaufen: es handelt sich um Zukunftsromane, die nicht durch ihre technischen Raffinessen überzeugen, sondern durch einen ungewöhnlichen Realismus. "Die Welt wie wir sie kannten" ist ein herausragender Vertreter dieses Genres, für Jugendliche und Erwachsene absolut empfehlenswert!
Susan Beth Pfeffer: "Die Welt wie wir sie kannten", Carlsen Verlag, € 17,90
Nur ein Spiel.
Seit ein paar Tagen benimmt sich Colin seltsam. Erscheint nicht zum Basketballtraining, lässt Nick links liegen, biedert sich bei den beiden Typen an, die er vorher „die Häkelschwestern“ nannte. Nick kann sich keinen Reim darauf machen – bis er von einer Klassenkameradin eine DVD bekommt, unter dem Versprechen strengster Geheimhaltung. Kurze Zeit später schwänzt auch Nick Training und Schule, belügt seine Eltern, spielt Tag und Nacht EREBOS, welches sich auf der DVD befand. EREBOS ist so viel mehr als ein Spiel, denn es erteilt Aufträge auch im echten Leben und lässt nur diejenigen weitermachen, die sie erfüllen…
Es ist keineswegs „nur“ ein Jugendbuch: Erebos ist ein packender Thriller mit einem schlüssigen, völlig unvorhersehbaren Finale und auch für nicht-computerspielende-Erwachsene bestes Lesefutter.
Ursula Poznanski: „Erebos.“ Loewe Verlag, € 14,90
Phantastisch oder realistisch?
Von der Großstadt in ein kleines 400 Seelendorf umziehen müssen – dass Elisabeth Sturm, 17 Jahre alt und fest verwoben in ihre Kölner Mädchenclique, dazu überhaupt keine Lust hat ist klar. Doch ihren Vater reizt die neue Arbeitsstelle und er freut sich auf die Ruhe im neuen Wohnort im Westerwald. Doch zur Ruhe kommt die Familie nicht: Elisabeth findet einzig zu ihrem Klassenkamerad Colin Kontakt, und dieser ist reichlich merkwürdig. Und schon nach kurzer Zeit merkt sie, dass Colin ein Geheimnis mit ihrem Vater teilt. Soll sie dieses Geheimnis lüften? Dass sie sich in Colin und er sich in sie verliebt hat, erleichtert die Entscheidung überhaupt nicht…
Eine sehr spannende Liebesgeschichte mit fantastischen Elementen (aber garantiert Vampir frei): Bettina Belitz hat ein Buch für Jugendliche geschrieben – auf den zweiten Band freuen sich aber auch viele Ältere.
Bettina Belitz: „Splitterherz.“, Script 5, € 19,90
Primzahlzwillinge.
Man möchte die beiden am liebsten unter die Fittiche nehmen: Alice, die nach einem Skiunfall ein steifes Bein hat und zur Magersucht neigt. Und Mattia, der sich auch Jahre nach dem Verschwinden seiner Zwillingsschwester noch mit Schmerz betäubt. Im Gymnasium lernen die beiden sich kennen und mögen und sie verbringen viel Zeit mit einander. Doch wirklich zusammen sind sie nicht – wie Primzahlzwillinge, die zueinander gehören aber doch stets voneinander getrennt sind.
Der Italiener Paolo Giordano beschreibt Alices und Mattias schwieriges Leben ungeschönt. Doch seine klare, poetische Sprache und sein ausgesprochen wohlwollender Blick auf die beiden geben diesem Buch etwas ungemein Tröstliches. Unbedingt lesen!
Paolo Giordano: „Die Einsamkeit der Primzahlen.“ Blessing Verlag, € 19,95
Als U-Boot im Widerstand.
Eugen Herman-Friede war sechs Jahre alt, als Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde – nur zwei Monate später gab es die ersten Übergriffe gegen Menschen jüdischen Glaubens. Von den folgenden zwölf Jahren berichtet er in seinem Buch; Alltagserlebnissen in der Kleinfamilie und die üblichen Probleme eines Jugendlichen beschreibt er ebenso wie die zunehmende Gewalt und die damit einher gehende größer werdende Angst. Im Frühjahr 1943 reichte der Schutz des „arischen“ Stiefvaters nicht mehr aus und Eugen Herman-Friede musste sich verstecken: Julius Friede hatte Familien gefunden, die bereit waren, trotz der Gefahr für das eigene Leben einen Juden zu schützen. Einer der Familienväter gründete 1944 eine Widerstandsgruppe – und Eugen Herman-Friede arbeitete aktiv mit.
Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen, die vom Grauen des Nazi-Regimes aus eigenem Erleben berichten können. Umso wichtiger ist dieses Buch: im Ton gleichermaßen sachlich und persönlich entreißt der Autor die furchtbaren Entwicklungen im Dritten Reich dem Vergessen.
Eugen Herman-Friede: „Abgetaucht.“ Gerstenberg Verlag, € 14,90