unsere Literarischen-Empfehlungen in 2015:
unsere Literarischen-Empfehlungen in 2014:
Ein (globaler!) finnischer Gesellschaftsroman
Ist eine Ehe schon zu Ende, nur weil man sich wenig zu sagen und kaum Sex hat? Oder wenn es keine gemeinsamen Interessen mehr gibt? Max und Katriina fühlen sich eigentlich nicht so, als wäre alles vorbei. Und doch driften sie stetig auseinander. Auch die Töchter Helen und Eva, die eine Hausfrau und Mutter, die andere eine Art Dauerstudentin, sind in ihrem Leben nicht so recht zu Hause. Über den Winter hinweg ändert sich alles – sie alle werden hin- und hergerissen zwischen dem Streben nach Unabhängigkeit und der Sehnsucht nach Sicherheit.
Philip Teir hat bisher Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben, er ist Journalist und Herausgeber von Anthologien. Mit seinem Debutroman „Winterkrieg" bestätigt er, was das Feuilleton schon bei seinen ersten Veröffentlichungen intonierte: er ist einer der besten Nachwuchsautoren Finnlands.
Philip Teir: „Winterkrieg",
Blessing-Verlag, € 19,99, eBook € 15,99
Sehr genau beobachtet …
Montagmorgen, 6 Uhr 41: Cécile ist unausgeschlafen, das Wochenende war unerquicklich. Warum sie nicht schon am Abend vorher zurück nach Paris gereist ist, weiß sie selbst nicht – obwohl ihre Eltern ständig auf ihren Besuch drängen, war ihnen das ganze Wochenende unausgesprochen doch zu viel. Philippe hingegen ist auf dem Weg zu seinem besten Freund, und er setzt sich auf den einzig noch freien Platz, den neben Cécile. Mit Schrecken erkennen sich die beiden: vor 27 Jahren waren sie ein Paar. Und nun wissen sie nicht, ob sie so tun sollen, als wären sie Unbekannte …
Ein schmales, sprachlich aber großes Buch, zwei sehr fein beschriebene Charaktere, die nicht nur angenehm sind, reichlich Innensicht ohne im Geringsten langweilig zu sein: Jean-Philippe Blondels „6 Uhr 41" mögen wir schon sehr gerne!
Jean-Philippe Blondel: „6 Uhr 41", Deuticke Verlag, € 16,90, eBook € 12,99
Ich habe Zeit.
Eigentlich schon eine Binsenweisheit: „Zeit hat man nur, wenn man sie sich nimmt". Und damit nicht genug, auch „Das Glück findet man nur im Hier und Jetzt." ist eine Tatsache, die man nicht verrücken kann. Trotzdem gelingt es nicht oft, Zeit zu haben oder glücklich zu sein. Dabei wissen wir eigentlich auch, dass wir, mit allem Fleiß und Ehrgeiz den wir haben, nie fertig werden – kaum ist eine Sache erledigt, steht die nächste an. Der Schreibtisch ist leer aber die Hemden noch ungebügelt. Die Telefonate geführt aber der Balkon noch unbepflanzt.
Rosalie Tavernier regt uns dazu an, die Welt immer einmal anzuhalten, Zeit zu haben. Nicht mit großen Worten, sondern mit einfachen Vorschlägen. „Manchmal muß man sich einfach nur auf eine Parkbank setzen, um den Wirren der Welt zu entgehen. Ein Freiraum am Wegesrand, von dem aus man das Leben aus angenehmer Entfernung betrachtet."
Rosalie Tavernier: „Manchmal muß man einfach nur ans Meer fahren um glücklich zu sein." Thiele Verlag, € 10,00
Literatur-Comic oder Comic-Literatur??
Was wäre, wenn Goethes Faust im Hier und Jetzt spielte? Darüber hat Comic-Autor und –Zeichner Flix wohl ausgiebig nachgedacht: Faust wäre Taxifahrer (mehrere Studiengänge, außerdem der tägliche, ungefilterte Kontakt mit Menschen), Mephisto Coach („Vertraue mir!") und Gretchen muslimische Anwaltsgehilfin mit strenggläubiger Familie; Gottes Arbeitsplatz wäre direkt neben dem von Allah, seine Anhängerzahlen sinkend und er darum etwas mit den Nerven runter.
Genauso hat Flix es denn auch umgesetzt – und das ist großartig anzusehen und köstlich zu lesen. Dabei tritt die Kernfrage „Was ist das Böse und wie tritt es in die Welt" gegenüber dem Original ein wenig in den Hintergrund. Dafür werden aktuelle Fragen aufgeworfen, zum Beispiel die des Miteinanders der Kulturen. Und das war ja zu Goethes Zeit eher noch kein Thema.
Flix: „Faust – Der Tragödie erster Teil.", Carlsen Verlag, € 7,99
Zum Verschenken oder Selbst-dran-freuen
„Im Galarock des heiteren Verschwenders, - ein Blumenzepter in der schmalen Hand, - fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders, - aus seiner Kutsche grüßend, über Land." (Erich Kästner: Der Mai)
Der ein oder andere weiß es – ich (L. Bornhofen) mag Gedichte ausgesprochen gerne. Ein fein bereitetes Gedicht schafft es mit wenigen Worten, die gewünschte Stimmung zu erzeugen, oft werden dafür Bilder verwendet, die in Prosa unpassend wären. Im Gedicht hingegen sind sie eine Freude! Hierfür ist die oben zitierte erste Strophe von Erich Kästners „Der Mai" ein schönes Beispiel; jede andere der fünf hätte allerdings genauso gut gepasst … Der Reclam Verlag hat seit diesem Jahr sehr hübsch gestaltete Gedichtbände im Sortiment, zwölf an der Zahl, für jeden Monat einen. Können wir nur empfehlen!
„Mai. Gedichte.", Reclam Verlag, € 5,00
Ein großer Wurf.
Toni Morrison, Literaturnobelpreisträgerin von 1993, widmet sich auch in ihrem neuen Buch, dem großen Thema ihres Autorenlebens: dem Alltag der Afroamerikaner. „Heimkehr" spielt Anfang der fünfziger Jahre – in poetischer Sprache verfasst und doch sehr real, mit einem reichen Themenschatz und doch nicht überladen.
Da ist Frank, der zwar körperlich heil aus Korea zurückgekommen ist, dessen Kriegstrauma ihm aber ein normales Leben unmöglich macht. Auch die große Liebe zu Lily rettet ihn nicht, weder vor den schrecklichen Bildern seiner Erinnerung noch vor zu hohem Alkoholkonsum. Und da ist Cee, Franks jüngere Schwester, die auf der Suche nach einer auskömmlichen Arbeitsstelle gutgläubig den falschen Posten annimmt. Es ist fast zu spät, ihr Leben hängt am seidenen Faden, als Frank, der ihrem Hilferuf sofort gefolgt ist, bei ihr eintrifft. Er bringt sie zurück ins Dorf ihrer Kindheit – doch erst als sie sich den Geistern der Vergangenheit stellen, kann ein gutes Leben beginnen …
Toni Morrison: „Heimkehr.", Rowohlt Verlag, € 18,95
Eine Freude.
Bei dieser kleinen Reihe im Prestel Verlag stimmt einfach alles, die Auswahl der Gedichte und Bilder, die Zusammenstellung derselben, aber auch die Haptik des Einbandes, die Größe, die Papierqualität. Auch wenn wir das Adjektiv „liebevoll" nur ungern nutzen (Bilderbuchverlage verwenden es inflationär) – hier passt es bestens, denn die Bücher sind wirklich liebevoll und mit großem Sinn fürs Detail gemacht. Ob Eichendorffs „Mondnacht" fast in van Goghs „Sternennacht über der Rhone" zu finden ist, oder Goethes „Der König und der Floh" neben Longhis „Im Ankleidezimmer", das Beieinander ist klug gewählt: so verändert das Lesen des Gedichtes den Blick aufs Bild und das Gemälde verwandelt den Tonfall der Poesie. Alles zusammen ist eine uneingeschränkte Freude.
Christine Knödler: „Mal deine Wünsche in den Himmel.", Prestel Verlag, € 19,95
Eine Suche.
Philipp ist irgendwie nicht richtig angekommen im Leben. Die Einliegerwohnung im elterlichen Haus ist bequem, die Aushilfsjobs, mit denen er sich über Wasser hält, eher langweilig, ein Studium (was denn?) in die Ferne gerückt. Einerseits mag er sein Leben, andererseits fühlt er sich nur richtig wohl, wenn er zeichnet. Eines Tages bekommt er die Chance, ein Jugendsachbuch über Astronomie zu illustrieren – Grund genug, sich immer tiefer mit dem Thema Sternenkunde zu befassen. In einer Sternwarte lernt er Tom kennen, der davon besessen ist, einen Kometen zu entdecken. Aus der zufälligen Begegnung wächst eine ungewöhnliche Freundschaft, und bald sind die beiden in den Vereinigten Staaten gemeinsam auf der Suche nach den Sternen.
Marc Deckerts Debüt ist eine fein erzählte Mischung: teils Road Movie, teils Coming-of-Age-Roman, dazu faktenreich und phantasievoll gleichzeitig. Nicht nur für Sternenliebhaber ein großer Genuss.
Marc Deckert: „Die Kometenjäger", btb, € 9,99, eBook € 8,99